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Alternative Werkstoffe

Lehm

Eine nachhaltige Alternative zu Beton in der Bauindustrie: Ein Einblick in moderne Verarbeitungsmethoden

Einleitung

Lehm, ein seit Jahrhunderten genutztes Baumaterial, wurde im Zuge der Industrialisierung von Beton verdrängt. Doch Lehm erfährt in der modernen Bauindustrie eine Renaissance als nachhaltige Alternative zu Beton. Mit einem Energiebedarf, der nur 15% dessen von Beton beträgt, bietet Lehm eine umweltfreundlichere Lösung für die Bauindustrie.Trotz der ökologischen Vorteile von Lehm wie geringem Primärenergiebedarf, weltweiter Verfügbarkeit und vollständiger Recycelbarkeit bleibt der Anteil von Lehmbauten gering, vor allem aufgrund hoher Produktionskosten. Die Ursachen hierfür liegen primär in den ökonomischen Rahmenbedingungen der Bauindustrie. Traditionelle Methoden der Stampflehmherstellung, gekennzeichnet durch manuelle Verdichtung und steife Schalungskonstruktionen, sind zeitaufwändig und arbeitsintensiv, was die Produktionskosten im Vergleich zu anderen Massivbauweisen, wie Betonbau, in die Höhe treibt. Trotz des geringen Preises für das Ausgangsmaterial Lehm bleiben die Gesamtkosten aufgrund des hohen manuellen Aufwands überproportional hoch. Die industrielle Verarbeitung von Lehm, die notwendig ist, um ihn als echte Alternative zu Beton zu etablieren, befindet sich noch in den Kinderschuhen. Dieser Bericht untersucht innovative Verarbeitungsmethoden von Lehm, die sein Potenzial als Alternative zu Beton in der Bauindustrie zeigen.

Zusammensetzung

Die Zusammensetzung von Lehm, bestehend aus Sand, Schluff und Ton, kann innerhalb spezifischer Grenzwerte variieren. Zusätze wie Kies und Bruchsteine sind in kleineren Mengen ebenfalls möglich.Lehm, der durch geringere Verwitterungsprozesse oder durch Sedimentation kalkhaltigen Materials signifikante Mengen an Kalk aufweist, wird als Mergel klassifiziert. Eine geringere Kalkkonzentration führt zur Bezeichnung Letten. Lehme mit hohem Tongehalt gelten als "fett" (ohne Bezug auf Fettgehalt), wohingegen solche mit niedrigerem Tongehalt als "mager" eingestuft werden.

Nachhaltigkeitsaspekte von Lehm

Lehm ist ein uraltes Baumaterial, das aufgrund seiner Umweltverträglichkeit und Energieeffizienz wieder an Bedeutung gewinnt. Im Vergleich zu Beton benötigt die Herstellung von Stampflehmwänden nur etwa 15% der Energie, die für Betonwände erforderlich ist. Lehm wird aus natürlichen Rohstoffen gewonnen und ist vollständig recyclebar, ohne dass es zu einem Qualitätsverlust kommt. Im Gegensatz zu Beton, der nicht ohne Weiteres wiederverwendet werden kann, ermöglicht die Wasserlöslichkeit von Lehm eine hundertfache Wiederverwendung durch einfaches Anfeuchten und erneutes Verdichten.

Technische Eigenschaften

  • Feuchtigkeitsregulierung: Lehm kann Feuchtigkeit aus der Umgebung aufnehmen und wieder abgeben.Diese Fähigkeit trägt zu einem angenehmen Raumklima bei und kann zur Regulierung der Luftfeuchtigkeit in Innenräumen beitragen.
  • Thermische Masse: Lehm besitzt eine hohe thermische Masse, was bedeutet, dass er in der Lage ist, Wärme zu speichern und langsam wieder abzugeben. Dies hilft, Temperaturschwankungen auszugleichen und kann den Energiebedarf für Heizung und Kühlung reduzieren.
  • Schallschutz: Die dichte Struktur von Lehmbauteilen bietet eine gute Schalldämmung, was zur Lärmminderung in Gebäuden beiträgt.
  • Feuerbeständigkeit: Lehm ist nicht brennbar, was ihn zu einem sicheren Baustoff in Bezug auf Brandschutz macht.

Innovative Ansätze zur effizienteren Verarbeitung von Lehm im Bau

Vorfertigung im Lehmbau bei Martin Rauch

Die Vorfertigung im Lehmbau passt sich modernen Anforderungen an und ermöglicht die Umsetzung von Projekten, die andernfalls nicht realisierbar wären. Diese Methode gewährleistet eine wetterunabhängige Fertigung, präzise Terminplanung und verkürzte Bauzeiten, da die Trocknung komplett im Werk stattfindet und die Koordination auf der Baustelle vereinfacht wird. Modulsysteme steigern die Effizienz, und bei gut erreichbaren Baustellen lassen sich sogar Elemente bis zu 7000 kg heben. Die Vorfertigung ermöglicht trotz ihrer Industrienatur individuelle Gestaltungen durch präzise Detailarbeit im Werk und ist kompatibel mit Holz- oder Betonstrukturen. Die plastischen Eigenschaften von Lehm erlauben es, Fugen zwischen den Elementen nahtlos zu schließen und so einheitliche Wände zu schaffen. In der Martin Rauchs Erden Werkhalle (von ihm selbst entworfen), werden Produktion, Logistik, Forschung und Lehre vereint. Ein Schlüsselelement ist "Roberta", ein Roboter, der Lehm mischt, aufbereitet, verteilt und verdichtet. Auf einer 40 Meter langen Schiene fährt Roberta über dem Boden und fertigt Schicht für Schicht die Stampflehmwände. Die Wandstärken variieren dabei von zehn bis 80 Zentimetern, mit einer durchschnittlichen Fertigungsgeschwindigkeit von drei Arbeitsschritten pro Stunde. Eine integrierte Kreissäge teilt die fertige Wand anschließend in handhabbare Blöcke zur weiteren Verarbeitung. Robertas fortschrittliche Technologie ermöglicht effizientes Arbeiten bei Großprojekten durch den Einsatz vor Ort, was den Transport von Lehmblöcken überflüssig macht. Das Lehm, im Gegensatz zu Beton wasserlöslich ist, sieht Rauch als Tugend weil es dadurch ohne Qualitätsverlust unendlich recycelbar ist. Rauch berücksichtigt bewusst eine gewisse Erosion in seinen Lehmbauten und betont, dass Lehmbauwerke ein solides Fundament und Dach haben müssen, um Feuchtigkeitsschäden zu vermeiden. Nach etwa drei Jahren härten die Wände auf natürliche Weise aus und bilden eine robuste Oberfläche. Die sogenannte "kalkulierte Erosion" wird durch strategisch eingebettete Mörtel- und Ziegelleisten in den Wänden kontrolliert, die den Regenfluss verlangsamen und die Struktur schützen. Die Rohmaterialien für den Stampflehm stammen aus Baugrubenaushüben, die sonst teuer entsorgt werden müssten und wodurch die Verwendung von zusätzlichen organischen Materialien unnötig wird. Vom Aushub werden ca 40 % grobe Steine. Bei beton ist der Kleber der Zement und beim Stampflehm ist es der Lehm selber. Beim stampfen werden Lehmplättchen ineinander verzahnt was die Mauer stabil macht. Durch das Verdichten des Lehms in Schalungen entstehen druckfeste Stampflehmwände, die einige Wochen zum Trocknen benötigen und durch ihre Steinbeimischung ähnliche Eigenschaften wie Beton aufweisen. Video ab Min 27. https://www.youtube.com/watch?v=goBd65gkSsg&t=2469s Vorfertigung im Lehmbau bei Martin Rauch

Gnanli Landrous Öko-Beton

Gnanli Landrou macht Erde und Kies mit einer Mischung aus Mineralsalzen fließfähig, sodass der Lehm wie Beton in Formen gegossen werden kann. Dieser zementfreie Erdbeton härtet innerhalb von 24 bis 48 Stunden aus und ist nach 20 Tagen voll einsatzfähig. Bei der Herstellung wird nur ein Zehntel der CO2-Menge freigesetzt, die bei der Produktion herkömmlichen Betons entsteht. Landrous Erdbeton, der sich für den Einsatz in Bodenbelägen und nichttragenden Wänden eignet, wird ähnlich wie Standardbeton verarbeitet und benötigt vergleichbare Ausrüstung. "Unsere Technologie vereint viele Vorteile von Zement, ist dabei aber wesentlich kostengünstiger und umweltfreundlicher", unterstreicht Landrou. Oxaras Baustoff ist für nichttragende Elemente in Gebäuden mit bis zu drei Stockwerken geeignet. Derzeit testen Forscher die Anwendung dieses Öko-Betons in Bodenbelägen, und erste Pilotprojekte werden in Kooperation mit der Bauindustrie und im Bereich des Baustoffrecyclings durchgeführt. Video ab Min 36. https://www.youtube.com/watch?v=goBd65gkSsg&t=2469s Gnanli Landrous Öko-Beton

Lehm aus dem 3D-Drucker bei WASP

Das Projekt "Gaia" stellt eine innovative Verbindung zwischen digitalen Fertigungsmethoden und nachhaltigen Materialien dar. Entwickelt vom italienischen Unternehmen WASP, dient dieser Prototyp eines Low-Tech-Wohnhauses, gelegen in der Lombardei und mit einer Fläche von 30 Quadratmetern, als Beispiel für zukunftsweisende Bauweisen. Der Wohnbau, inspiriert von Wespenhäuser und geprägt durch einen runden Grundriss, setzt sich aus einem Holztragwerk zusammen, auf dem ein flaches Holzdach ruht. Die selbsttragenden Außenwände bestehen aus einer Mischung aus Lehm, Reisstroh und Reishülsen. Für den Bau der Lehmwände kommt ein fortschrittliches 3D-Drucksystem zum Einsatz, das in der Lage ist, bis zu zwölf Meter hoch und mit einem sieben Meter weiten Arbeitsradius zu operieren. Durch das Verkoppeln mehrerer Druckmodule können komplexe Strukturen erzeugt werden. Zwei Arme des Druckers arbeiten synchronisiert damit sie nicht kollidieren. Das Drucksystem trägt den Lehm schichtweise auf, bis die gewünschte Wandhöhe erreicht ist, wobei im Inneren der bis zu 40 Zentimeter dicken Wände eine hohle Struktur entsteht. Diese Hohlräume werden mit Dämmmaterialien wie Reisstroh und Reishülsen gefüllt, was zu verbesserter Belüftung und Energieeffizienz führt. Die Errichtung des Gebäudes soll innerhalb von zehn Tagen abgeschlossen sein, mit einer reinen Druckzeit von etwa 100 Stunden. Die Kosten für den Rohbau belaufen sich auf lediglich 900 Euro. Dieses Projekt verdeutlicht das Potential von 3D-Drucktechnologien und umweltfreundlichen Materialien im Bauwesen. Besonders hervorzuheben ist die Möglichkeit, lokale Materialien oder natürliche Abfallprodukte zu nutzen, wodurch nachhaltiges und ressourcenschonendes Bauen gefördert wird. https://www.youtube.com/watch?v=KPaOCWrZJ94 Lehm aus dem 3D-Drucker bei WASP

Robotertechnologie an der TU Braunschweig

Die digitale Baufabrikation, speziell im Kontext der Stampflehmbauweise, repräsentiert eine innovative Schnittstelle zwischen traditionellen Baumethoden und modernster Robotertechnologie. Am Institut für Tragwerksentwurf (ITE) der Technischen Universität Braunschweig haben Forscher ein bahnbrechendes Verfahren entwickelt, das die Herstellung von Stampflehm-Bauteilen durch den Einsatz von Robotertechnologie vollständig automatisiert. Dieser Ansatz nutzt robotergesteuerte Fertigungsprozesse, um traditionelle Materialien wie Lehm nicht nur in ihrer Leistungsfähigkeit zu verbessern, sondern auch neue gestalterische Möglichkeiten zu eröffnen. Durch die Automatisierung des Verdichtungsprozesses und die Integration einer adaptiven Gleitschalung können Stampflehmelemente mit hoher Präzision und Effizienz hergestellt werden. Das System bewegt die Schalung synchron mit der Materialzufuhr und dem Verdichtungswerkzeug, was die Effizienz des Bauprozesses erheblich steigert. Ein Kernaspekt dieser Technologie ist die Reduktion der herkömmlichen manuellen Arbeitsprozesse und Schalungskosten. Durch den Einsatz großformatiger Fertigteile, die sowohl vor Ort als auch lagerbasiert produziert werden können, wird die wirtschaftliche Integration in den Bauablauf ermöglicht, was eine effektive Qualitätssicherung sicherstellt. Die robotergestützte Fertigung ermöglicht eine deutlich schnellere Herstellung im Vergleich zu traditionellen Methoden, was die Kosten und den Zeitaufwand erheblich reduziert. In einem prototypischen Experiment wurde eine Stampflehmwand mittels robotergestützter Technologie errichtet. Die Ergebnisse zeigten eine signifikante Beschleunigung des Bauprozesses und eine homogene Beschaffenheit der Wand, die die Anfälligkeit für Schwindrisse minimiert. Diese Innovationen versprechen eine erhöhte Produktionsgeschwindigkeit und eine Integration automatisierter Materialförderung in den Fertigungsprozess.https://www.youtube.com/watch?v=F-0BvaeLBHw Robotertechnologie an der TU Braunschweig

Fazit

Lehm bietet als Baustoff erhebliche Potenziale für eine nachhaltigere Bauindustrie. Durch seine umweltfreundlichen Eigenschaften, seine Fähigkeit zur Verbesserung des Raumklimas und seine Flexibilität in der Anwendung könnte Lehm eine wichtige Rolle in der Zukunft des Bauens spielen. Um diese Potenziale voll auszuschöpfen, sind jedoch weitere Forschungen und Entwicklungen in der industriellen Verarbeitung von Lehm erforderlich. Zudem müssen Vorurteile abgebaut und das Bewusstsein für die Vorteile dieses traditionellen Baustoffs geschärft werden, um ihn als echte Alternative zu Beton im Bauwesen zu etablieren. Bei hochkomplexen Gebäuden ist Lehm möglicherweise nicht das ideale Material, doch für 90 % der Gebäude, die aus einfachen Mauern bestehen, könnte Lehm eine passende Wahl sein. Lehm stellt keine direkte 1:1-Alternative zu Beton dar und ist für Wolkenkratzer zum Beispiel nicht geeignet. Das Ziel ist nicht, Beton vollständig zu ersetzen, sondern Architekten und Ingenieuren nachhaltige Alternativen anzubieten und Beton nur gezielt einzusetzen, wo er tatsächlich benötigt wird.

Quellen

Josefine Pavesi, 2959